Petra Lehmkuhl

zurück

 
 

„Im Verkaufen war ich nie so gut, aber im Entdecken!“

 
 

Die Petersen Galerie

 
 

Als Jes Petersen 1977 seine Galerie in Berlin-Charlottenburg eröffnete, befand er sich in einer Insel-Situation. Der eigentliche Kunsthandel zu dieser Zeit spielte in West-Deutschland, besonders im Rheinland. Aus der Berliner Position heraus ein lukratives Unternehmen zu gründen, war eine Schwierigkeit, der viele Galeristen erlegen sind. Eine „kauffreudige“ Stadt war Berlin bis dahin nicht gewesen und sollte es auch in den 17 Jahren, die die Petersen Galerie bestand, nicht werden. (Gemeint ist ab der Stunde Null, also seit Kriegsende.) Kaufkräftiges Publikum wanderte sogar wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation aus Berlin ab. Die Menschen, die nachkamen, waren meist junge Leute; z. B. die, die dem Wehrdienst entgehen wollten.

Trotz allem gab es in der Enklave und zwar fast ausschließlich in Charlottenburg, bis auf wenige Ausnahmen in Wilmersdorf, an die dreißig Galerien mit verschiedenen Programmen.

Was bewog Kunsthändler in Berlin eine Galerie zu eröffnen oder gar dafür in die Stadt zu kommen? Die Mieten waren sogar am Kurfürstendamm sehr günstig, und es gab Zuschüsse für Museen und Kunstvereine, die so in der Lage waren, von ihren Galerien zu kaufen. Jes Petersen bringt es auf den Punkt: „Wer überhaupt kein Geld hatte, der kam besser gleich hierher.“ Petersen hat die Galerienszene als eine Spielwiese gesehen, die einem die Freiheit gab, relativ unabhängig von der Käuferschaft, Kunst zu präsentieren.

Die Petersen Galerie war eine Avantgarde Galerie, wobei sie sich dort in hohem Maße auf die Klassische Avantgarde bezog mit Vertretern aus dem Wiener Aktionismus, Fluxus, Surrealismus; wie Hermann Nitsch, Dieter Roth, Dorothy Iannone, die gerade ihren späten Ruhm erlebt, Tomas Schmit und Andrè Thomkins, zum anderen war sie auch eine experimentelle Galerie; vertreten durch die Künstler Martin Kippenberger oder Thomas Kapielski. Andere rote Fäden, die sich durch das Programm der Petersen Galerie ziehen, sind die Konzept Kunst mit Timm Ulrichs oder die Zeichner, vertreten durch Nanne Meyer oder wieder Tomas Schmit. Petersen hatte auch einen Hang zum Okkulten, stellte Mediumisten aus und war erster Vorsitzender eines Art Brut Vereins.

Jes Petersen achtete nicht auf Konventionen, was seine Arbeit als Galerist anging. Er betrieb nicht eine klassische Galerie mit einem Empfang oder Mitarbeitern. Nur kurze Zeit hatte er mal eine Bürohilfe, die auch nicht unbedingt eine Hilfe war, oder es gab mal die eine oder andere Praktikantin; aber größtenteils arbeitete Petersen allein. Es kann allerdings nicht die Rede davon sein, daß er in seiner Galerie jemals allein war. Petersen saß in seinem Hinterzimmer und hielt tagtäglich Hof. Auf seinen Sofas tummelten sich Künstler, Intellektuelle, ewig Feiernde ... Kunden lenkten vom eigentlichen Geschehen ab, nämlich Jes Petersens Leben, das er in seine Galerie integriert hatte.

Die Künstlerin Nanne Meyer berichtete im Dezember 2004: „Und was bei Jes auch anstrengend war: Es kamen ja permanent Leute rein. Er ist ja ein sehr kommunikativer Typ und er kannte ja auch die verrücktesten Leute, auch diese Lesbenszene, die kam dann auch an, wenn wir dann gerade beim Aufbauen waren, und es ging mir wirklich ziemlich auf den Wecker! Die lachten da und soffen, und in der Pestalozzistraße, da hatte er dann noch son Lotterbett, in dem so alles mögliche stattfand, und ich hab dann auch schon mal gesagt: Jes, ihr müßt alle hier rausgehen, ich kann das hier nicht! Ich kann nicht mit euch hier gleichzeitig Drogen und Fete und Alkohol und dabei eine Ausstellung aufbauen, das kann ich nicht! Und dann hat er auch drauf gehört, dann sind die alle abgewandert in die Kneipe. Weil mich das irgendwie völlig verrückt gemacht hat, ich hab da irgendwie meine ganzen Zeichnungen ausgelegt, dann kamen diese lachenden Frauen, dann rannte der Hund noch drüber, ich mußte immer Hundetatzen wegradieren, das war ja auch wie im Affenstall, also es hatte irgendwie was, aber manchmal war man auch ganz verzweifelt.“

Petersen arbeitete mit einer unglaublichen Großzügigkeit. Er war großzügig mit seinen Künstlern und mit seinen Kunden und Freunden. Er war bekannt dafür, daß es auf seinen Vernissagen feine Getränke en masse gab. Das Wichtigste, sagte er immer im Spaß, an der Tätigkeit des Galeristen, sei das Entkorken der Sektflaschen.

Aber auch mit der Abwicklung der Geschäfte war er großzügig: Lieferscheine und Rechnungen wurden keine ausgestellt. Man hatte eine ungefähre Ahnung, welche Kunstwerke noch bei ihm waren, wenn man als Künstler nicht selber Buch führte. Ab und an bekam ein Künstler sein Geld nicht sofort, dann aber unerwartet einen viel höher dotierten Scheck als ausgemacht war. Preislisten entstanden spontan oder es gab gar keine. Oft mußte es einfach reichen, wenn kurz vor der Vernissage ein Preis an die jeweiligen Werke geschrieben wurde, einfach mit Bleistift auf die Wand. Trat ein Künstler an, um seine Ausstellung aufzubauen, stand er nicht selten vor den Resten der vorigen.

Daß die Petersen Galerie keine Trendgalerie war, daß sie nicht in erster Linie auf Profit aus war, ist offensichtlich. Das erlaubte zum einen eine große Unabhängigkeit bis hin zur Radikalität, die in seinem Programm vorherrschte; zum anderen deutet dies auf ein ganz bestimmtes Engagement hin: Petersen hat eine nicht kleine Erbschaft in dieses Unternehmen gesteckt und er wußte zu gut, daß nicht zu erwarten war, daß das Geld jemals zurückkommen würde.

Die Geschichte der Petersen Galerie ist mit Sicherheit eine Geschichte des Scheiterns, wenn man nach dem wirtschaftlichen und kaufmännischen Erfolg sucht. Aber sie ist eine Erfolgsgeschichte, wenn es um das Entdecken von neuer Kunst geht oder der Gabe, aufregende und schon erfolgreiche Künstler nach Berlin zu holen. Für Berlin war diese Leidenschaft und der Einsatz Jes Petersens ein Segen.

Auszug aus der Magisterarbeit Die Petersen Galerie. Kunsthandel in Berlin 1977 – 1986, die im Januar 2005 an der Technischen Universität Berlin eingereicht wurde.

 
     
  Nachtrag  
 

Petersen lernte ich im Kino kennen, als wir den Film Stroszek von Werner Herzog schauten. Herr Gohlke, der wandelnde Antiquar mit langen, grauen Haaren, stellte ihn mir vor. Da ich gerade über den Wiener Aktionismus arbeitete, bat ich, ihn mal in seiner Bibliothek besuchen zu dürfen. Jes trug seinen weißen Schal und schob lässig seine Karte rüber. norddeutsch, kurz angebunden.

In seiner Bibliothek leerten wir einige Flaschen Sekt und bald war mir nicht mehr klar, welches der Bücher relevant sein könnte für mich, und so bat ich ihn, wiederkommen zu dürfen. „Prima, noch besser!“ fand Jes. Etwas später enterte ich auf allen Vieren meine Wohnung. Ich wollte mich gerade über eine bestellte Pizza sowie ein bestelltes Nudelgericht hermachen, als Jes anrief: Er sagte wohl so Sachen wie, daß ihm unser Treffen gefallen hätte, so genau weiß ich das nicht mehr, auf jeden Fall war das der Beginn unserer Freundschaft.

 
 

home