Thomas Kapielski

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  Ein großzügiger Freund der Künstler  
  Zum Tode des Verlegers und Galeristen Jes Petersen  
 

Der Sohn eines Landwirtes, 1936 bei Flensburg geboren, soll das Gut übernehmen. Er sträubt sich. Die Schulzeit fällt schwer, seine Bildung übernimmt der Schüler selbst. Über die Fernleihe der Stadtbibliothek findet er schicksalsbestimmt die passenden, glücklichen Wege in die literarische und künstlerische Moderne. Der junge Mann bricht mit der Familie, gründet einen Verlag in Glücksburg, die Petersen Press, und eines seiner frühen, 1962 herausgegebenen Bücher, Oskar Panizzas "Liebeskonzil", wird indiziert, wegen "Pornografie" strafrechtlich verfolgt.

 
     
 

Ganz unbefangen schreibt der junge Verleger Briefe an Piero Manzoni, Pablo Picasso, Franz Jung, den damals fast vergessenen Dadaisten Raoul Hausmann - erhält Antwort, flieht die Provinz, reist nach Paris, Mexiko, um die Welt; plant mit Franz Jung Zeitschriften, die immer im konzeptionellen Terrain der Fiktion bleiben, geht nach Berlin, arbeitet als Gehilfe für den Künstler Friedrich Schröder-Sonnenstern. Später schreibt er eine große Monografie über ihn, die ihres Umfanges und Aufwandes wegen bis heute unveröffentlicht bleibt. Er befreundet sich mit Horst Janssen, Valeska Gert, mit und über die er Filme und Manuskripte produziert, mit Oskar Huth.

 
     
 

Mit seiner 1977 in der Pestalozzistraße eröffneten Galerie avancierte Petersen zu einem der ganz großen Galeristen Westberlins. Frühzeitig hat er in den siebziger, achtziger Jahren dort die rechten Dinge ausgestellt, von Dieter Roth, Hermann Nitsch, Dorothy Iannone bis Martin Kippenberger, eine ansehnliche Sammlung aufgebaut. Seit 1987 verlegte Petersen auch wieder, etwa Aleister Crowley.

 
     
 

Ein geschäftseifriger Mensch war er, wie im Grunde alle Berliner des alten Westens, nie; in seiner Galerie, seit 1986 in der Goethestraße, bewirtete er großzügig Künstler und Freunde. Finanzieller Engpässe wegen schwenkte er kurz nach der Wiedervereinigung, seinem Charakter gemäß sowohl töricht als auch waghalsig und gelassen, auf den Handel stimulierenden Pulvers aus Mittelamerika und büßte dafür einige Jahre in Haftanstalten. Dort las und schrieb er wieder viel.

 
     
 

Ein Mensch reift, sein Leben läuft davon. Was bleibt? Geschichte und Geschichten! Auch verdanken wir ja unserem universitären Doktorandensystem, dass Generationen von Geisteswissenschaftlern, die, warum auch immer, zeitweise allesamt wenig sui generis schöpfen, sich forschend und bewahrend um Biografien, Schriften, Ideen oder Briefwechsel bedeutender Menschen bekümmern. Und so halten wir also dadurch auch einige Schätze von und über Jes Petersen in unseren von lauter Unbedeutsamkeit geschundenen Händen: ein Buch über Piero Manzoni, Life and Work, Petersen Press Berlin 1969; dann: Strontium. Briefwechsel mit Raoul Hausmann und Franz Jung, Berlin 2001, und: Jes Petersens wundersame Reise, 2005, ein Band, der einige seiner schönsten Lebensgeschichten enthält.

 
     
 

In der Nacht vom 1. zum 2. April 2006 ist mir mein lieber Freund gestorben.

 
  Berliner Zeitung 05.04.2006  

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