Bernd Gärtner

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Finissage Jes Petersen

 
 

Ein Nachruf

 
 

Unser Freund Jes Petersen ist tot – und das ist schon eine Unverschämtheit und Schweinerei, mit Bazon Brock zu reden. Wie das ganze Altwerden, Kranksein, Sterben. Letzte Aus- und Vorstellung also. Vor großem Publikum – wie seine Vernissagen. Von einem blutvollen, freigiebig aus dem Vollen schöpfenden Leben bleiben uns nur die Erinnerungen, mit denen wir ihn ehren wollen. Im übrigen: Was immer wir an seinem Grab musizierten und sagten – es wäre ihm alles noch zu etepetete gewesen. Er lebte für eine Kunst, die sich einen Dreck darum schert, was der Spießer schicklich und schön findet – und er tat alles, um selbst kein Spießer zu werden.

Peter Jes Petersen wurde am 2. November 1936 geboren – mit dem silbernen Löffel im Mund als Erbe eines reichen Gutes an der dänischen Grenze (bei ihm gab es immer Flens, und er schnitt die Käserinden zeitlebens zentimeterdick ab).Er wollte aber partout kein Bauer werden. Das kostete ihn am Ende sein Erbe. Jes quälte sich durch Schule und Landwirtschaftsschule und hatte ganz andere Sachen im Kopf: die Texte des Anarchokommunisten Franz Jung, die schöpferische Destruktion der Dadaisten, den Surrealismus. Wie weit die Kontakte zur verbotenen KPD gingen, blieb immer etwas im Dunkel – jedenfalls weiter als bei Albon Streibl in Henscheids Trilogie. Hauptsache Bürgerschreck, so konnte es scheinen.

1962 zog er im Zorn aus dem Elternhaus – und es begannen schwere Zeiten trotz mütterlicher Zuwendungen. Große Verlagsprojekte kamen mangels Masse nicht weit, der einschlägige Briefwechsel liegt gedruckt vor. Aber schließlich konnte die Petersen Presse, Glücksburg, 1962 stolz Raoul Hausmanns Sprechspäne präsentieren. Numerierte Auflage – aber mit reichlich Überdruck (teils heute noch am Lager), was eine natürliche Begabung für den Verlegerberuf beweist. Mit einem Neudruck von Oskar Panizzas Liebeskonzil hätte er wirklich verdient, aber die Zensur der Adenauerzeit war davor.

Inzwischen hatte er die Frau seines Lebens kennengelernt: Ilona. Die beiden heirateten und zogen im Dezember 1963 nach Berlin, Flensburg adé. Hier bekamen sie günstig eine Wohnung, weil die Frontstadt Einwohner brauchte. Ilona und Jes, eine amour fou, der niemand eine Zukunft gab – und die lebenslang hielt. Noch ganz zum Schluß sprach Jes davon, wie sehr er sie vermißte. Sie, die zierliche, aber resolute Dame alter Schule, Offizierswitwe, immer elegant, mit einem Hang zu Chanson und Tingeltangel allerdings – und dagegen er, der erheblich jüngere Brausekopf ohne solide Existenz, mit gewaltigen Rosinen im Kopf. Sie holte ihn sachte auf die Erde zurück, wenn er wieder einmal zu sehr abhob.

Addiert eine Liebe, ein Lebensbündnis für die Ewigkeit. 1999 haben wir Ilona beerdigt, jetzt folgt Jes ihr.

In Berlin bekam er endlich ständig Kontakt zu schöpferischen Menschen außerhalb des senatsfinanzierten Kulturbetriebs z. B. mit H. C. Artmanns Wiener Truppe und der Grotesktänzerin Valeska Gert, einer Ikone der 20er Jahre. In deren Sylter Etablissement, dem legendären Ziegenstall, verdiente das Paar im Sommer das Nötigste. Und in Berlin lernte Jes den manischen Maler (und Poeten) Friedrich Schröder-Sonnenstern kennen. Dessen phantastisch-skurrile Bilderwelt schaffte es bis ins Wohnzimmer von Frankreichs Präsident Pompidou. Jes war entscheidend daran beteiligt, seine und seiner Schüler Werke (Heideblume, Jes selber usw.) ins Bewußtsein der Kunstöffentlichkeit zu bringen. Und er edierte Friedrichs Buch Pferdearschbetrachtung bei Hanser, später auch eine schöne Mappe nach frühen Original-Buntstiftzeichnungen im Verlag seiner Galerie:

Am Rand der Kunstszene schlug das Paar sich durch. Endlich 1977, Jes war schon über 40, konnte er seine verwitwete Mutter überzeugen, ihm eine Galerie zu finanzieren.

Im Frühjahr eröffnete Jes in der Pestalozzistraße, gleich um die Ecke vom Zwiebelfisch. Damals lernte ich ihn kennen. Eine auffällige Gestalt: der riesige schwarze Kalabreser zum guten Tuch. Die schwere Platinkette und der große Ring von Giger mit dem kopulierenden Satan.

Jetzt zeigte sich, daß da mehr war als antibürgerlicher Affekt und Flausen. Er hatte die Lehrjahre bestens genutzt und besaß (noch wichtiger) einen fast untrüglichen Instinkt für Qualität. Hier half ihm seine Sensibilität, über die er gerne hinwegpolterte.

Es wurden seine größten 10 Jahre. Die Reihe der Ausstellungen ist mehr als eindrucksvoll, und als eine staatliche Ausstellung die Kunstbeziehungen zwischen Berlin und New York in den 80ern dokumentierte, stellte sich im Katalog heraus, daß sehr viele der Berliner ihren Durchbruch bei Petersen gehabt hatten.

Petra Lehmkuhl hat inzwischen eine Magisterarbeit über die Galerie geschrieben. Jes präsentierte: Art Brut – Mediumistische Kunst / Automatische Malerei (Adolf Wölffli); Neodadaisten / Fluxus: Emmett Williams, Al Hansen, André Thomkins; Diter Rot; Timm Ulrichs; Brus; Sonderburg; Fridolin Wenzel; Giger; Lugo Gosewitz; Lili Engel & Raffael Rheinsberg; Salomé; Elvira Bach usw. usf. Und erstmalig einen flippigen jungen Mann auf dem Sprung zum Weltruhm: Martin Kippenberger. Der ließ für eine spätere Ausstellung bei Jes einen alten Kinoplakatmaler nach seinen Angaben malen: „Lieber Maler, male mir …“ Ein Glück, daß Ilona nicht wußte, wie der Vers weitergeht – denke ich mal. „Meiner Frau zum Trotze – usw.“

Kippi ist jetzt auch schon etliche Jahre tot – welche Verschwendung!

Der Wein war immer besser und reichlicher als bei der Konkurrenz. Am besten, wenn Hermann Nitsch seinen selbstgekelterten mitbrachte (und dazu das Spiel „Kohlenberta“, das den Konsum erheblich beschleunigte).

Nach dem Umzug in die Goethestraße 1987 verblaßte der Ruhm ein wenig. Allerdings brachte uns diese Zeit die Freundschaft mit Thomas Kapielski. Geld war auf einmal nur noch für Vereinigungsaufgaben da. Jes war allerdings stets immer in der Lage, erheblich mehr auszugeben als einzunehmen. Denn vorne war die Kunst und hinten war das LEBEN, hinten im Kabuff.

Dort leerte er mit Freundinnen, Freunden und manchen Abgreifern Myriaden Flaschen Deutz & Geldermann. Die kamen gekühlt aus dem wohlsortierten Spirituosenladen von Peter Herbert – „Galeriebedarf“ genannt. Im Kabuff ging es über Tisch und Bänke und anschließend rund um den Savignyplatz. Ein tiefsinniger Freund dieser Jahre war der unvergessene Oskar Huth. Der herzensgute Freund des Doppelkorns war ein malerisch-poetisch-musikalisches Gesamtkunstwerk, dem ich hier ebenso wenig gerecht werden kann wie Friedrich Schröder-Sonnenstern.

Höhepunkt der Galeristenkarriere aber war eindeutig die Mauerumwanderung von innen, 1980. Aktion und Performance de luxe und en gros mit einer ganzen Karawane internationaler Künstler und reichlich nomadisierendem Publikum. Kunst und Einkehr in stetem Wechsel. Nach DDR-Intervention geleitschützte uns ein ständiges Polizeiaufgebot, das aber streng auf Demonstration der Kunstfreiheit eingeschworen war. Wirklich nette Bullen. Und die Sowjetunion, „now defunct“, ließ es auch diesmal denn doch nicht auf den Dritten Weltkrieg ankommen. Man hatte nicht dem falschen eine Senatswohnung gegeben. Damals konnte BILD noch nicht titeln: „Ist West-Berlin noch zu retten?"

Auf dieser Wanderung stellte sich erstmalig ein kleines Hündchen ein, das einen großen Platz in Jes’ Herz eroberte und auch bald sonst immer mehr Platz brauchte.

Engere Freunde wurden zu Ilona und Jes in die Wohnung eingeladen. Da bogen sich die Tische, bisweilen auch die Dielen, wenn die von Ilona ungern gehörte Basler Fasnachtmusik erklang. Für kleinere Gesellschaften kochte Jes auch meisterlich, in den späten Jahren manchmal im Wettbewerb mit Heidi. Wem soll ich die Palme reichen? Beiden! In Jes’ Desserts gab es bisweilen sehr unorthodoxe Zutaten …

Und dann zogen sich die Kundigen gerne in die Bibliothek zurück. Im Finanziellen war Jes chaotisch und in Bezug auf Technisches geradezu unbeholfen, aber unsortiert war er nicht. Auf nicht allzu üppigem Raum war die reichhaltige Bibliothek ein Muster an Kennerschaft, Geschmack und eben auch Ordnung, nicht nur äußerlich. Schick aussehen tat es auch noch. Beneidenswert!

Es gab da 2 Meter Okkultismus, niederen Unfug, verglichen mit Philosophie und Theologie. Die Eierschalen des Autodidakten eben. Aleister Crowley, auch von Petersen verlegt, schrieb wenigstens flott und spie den Predigern der Askese ins Gesicht. Ob es mir jetzt paßte oder nicht, der Mann war auch noch Teilzeitsatanist. Im Kontrast dazu verband die blumengeschmückte Wohnung bürgerliche Behaglichkeit mit Kunstgewerbe und messerscharfer Avantgarde. Da konnten sich beide wohlfühlen nebst dem inzwischen kugelrunden Hündchen Jutty, das Herrchen Auslauf verschaffte. JUTTY?? „Ja“, sagte Ilona, die Thüringerin, „wie Judy Winter.“

Leider entwickelte Jes einen kostspieligen Hang zu illegalen Stärkungsmitteln, und es gab immer eine Schublade voller Zauberstaub.

Die zwangsläufig auftretenden finanziellen Engpässe hatten harte Auswirkungen. Und das kam so. Der gewiefte Kunstkenner hatte auch einen ausgeprägten Hang zur Halbwelt. Ilona ertrug es; denn sie wußte: Der Jes kommt alls wieder zurück. Und er war wohl keuscher als es sich für einen Libertinisten ziemt. Harmlos war, wenn er im Gefolge einiger einschlägiger Freundinnen herrenfreie Gaststätten aufsuchte, im lila Paillettenkleid (so ließ er sich für die TAZ als eigene Sekretärin ablichten) oder als Nachtschwester „Jessica“. Das Gegenstück S-Bahnquelle kannte er aus den Zeiten, als Friedrich Schröder-Sonnenstern noch dort verkehrte (monogam und hetero wie der war). Es kamen in diesem ganzen Milieu aber auch Kontakte zustande, die bedrohlich wurden.

Selbsterzählten Anekdoten zufolge war er früher schon einmal bei der plötzlichen Vernichtung zweifelhafter USA-Zahlungsmittel behilflich gewesen. Mit deren Produktion hatte er nichts zu tun gehabt; für die Distribution war er wohl im Gespräch. Der Versuch schließlich, sich durch Einstieg in den Südamerikahandel zu sanieren (geplatzt, bevor etwas eintraf), führte – zu überraschender Sanierung seiner inzwischen doch schon recht angegriffenen Gesundheit. Zähne und Zucker wurden in 2jähriger Staatskur behandelt. Ilona aber litt.

Falschgeld, Rauschmittel, Satanismus? Der Bursche war doch eine öffentliche Gefahr! Eben nicht: Alles eher Kinderkram als Kriminalität. Eine Seele von Mensch war er. Staatsfern war er aus tiefster Überzeugung allerdings immer (bei Ex-DDR-Bürgern eine gepriesene Tugend).

Nach Ilonas Tod kamen stillere Tage. Materiell war er mit Eigentumswohnung und Rente gesichert, aber damit haushalten war sein Ding nicht. Mit einigen Verkäufen aus der eigenen Sammlung ging es. Vor allem im Sommer hielt er Hof vor dem Fisch mit Panamahut und Hawaiihemd, ausstaffiert von Heidi.

Haushalten konnte er auch mit seiner Gesundheit nicht. Dem Zucker fielen jetzt einige Zehen zum Opfer, und er mußte immer wieder mal ins Franziskus-Krankenhaus, wo man sich hingebungsvoll um ihn kümmerte. Erst langsam, dann schneller ging es bergab. Dabei konnte er sich stets darauf verlassen, daß sein Damenzirkel auf ihn aufpaßte, wenn es ihm schlecht ging. Sigrid war bei ihm, als er in der Nacht zum 2. April einschlief und nicht mehr aufwachte. Heidi, Sigrid, Gudrun, Gesina und Fränzi setzten ihre Anzeige in die MoPo. Heidi aktualisierte ihr schönes Geburtstagsgedicht für die TAZ. Kapielski schrieb einen Nachruf für die Berliner Zeitung und seinen 2001-Blog.

Jes war im Leben großzügig, bisweilen über das vernünftige Maß hinaus, und er bekam viel Zuwendung. Nicht nur als er in Saus und Braus lebte.

Der hedonistische Rebell lebte bis zum Schluß wacker gegen den Strich – und bekam doch fertig, letztlich niemandem zu schaden. Sich selbst allerdings schonte er nicht. Er kannte seine Risiken. Für ein Leben auf Diät war er in keiner Beziehung gemacht. Die großen Verbrecher der Weltgeschichte aber, die waren Asketen. Sein Leben hat sich vollendet; unseres, das er so sehr bereichert hat, ist jetzt ärmer. Wir, seine Freundinnen und Freunde, haben ihn geliebt und wir werden dieses bunte, pralle, kunstfreudige und menschenfreundliche Leben eines Unangepassten in dankbarer und auch in fröhlicher Erinnerung behalten.

Danke Jes und Lebwohl!

 
 

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