Otmar Engel | |||
Verleger Jes Petersen | |||
aus Civis, Bonn 1963 | |||
Jes Petersen ist 1936 in Flensburg geboren. Abitur, dann Praktikum auf dem Land, danach Besuch der Höheren Landbauschule in Schleswig. Damals, auf der Landbauschule hatte ich zum ersten Male etwas mehr Freizeit, um intensiv Bücher lesen zu können, Zeitschriften; konnte mich mit Theater und Malerei beschäftigen, und ich faßte den Plan, die ganze Landwirtschaft an den Nagel zu hängen und in Hamburg eine Kunstgalerie zu eröffnen. Ich hatte bald gute Kontakte zu Malern und suchte auch Verbindung mit Literaten, weil ich gute, brauchbare Kataloge machen wollte – der Plan mit der Galerie fiel ins Wasser, weil man zu so einem Unternehmen viel Geld braucht, das ich nicht hatte. Ich bin also wieder in die Landwirtschaft gegangen, habe aber eine Menge Manuskripte von interessanten Autoren mitgenommen, mit denen ich mich beschäftigen wollte. Plötzlich bot sich mir die Aussicht, durch ein bestimmtes Projekt sehr viel Geld zu verdienen, und mit diesem Geld wollte ich einen Literaturverlag gründen, die Petersen Press. Ich habe sofort die erste Ausgabe meines Verlags, Raoul Hausmanns „Sprechspäne“, vorbereitet, und ich habe das Buch mit eigenen Ersparnissen finanziert, als jenes aussichtsreiche Projekt mit dem Riesenverdienst doch nicht zustande kam. Die „Sprechspäne“ sind eine ganz kurze Dokumentation aus den Schriften Raoul Hausmanns, einem Autoren, der den Dadaismus weitergeführt hat und der ein sehr farbiger und brillanter Denker ist. Heute ist er in Deutschland nur wenigen bekannt und wird stark unterschätzt. Wie kommt es, Herr Petersen, daß dieser Autor keinen großen Verlag findet, für den doch eine solche Buchausgabe eine Kleinigkeit wäre? Das ist gerade der Unterschied, der meinem Verlag seine Berechtigung gibt. Es gibt viele bedeutende Autoren der Zwanziger Jahre, die heute vergessen sind, obwohl sie für unsere Situation sehr wichtig wären. Sie finden einfach keine Verleger. Die Verleger fassen erst „Mut“, wenn sie des geschäftlichen Erfolges sicher sind. Die Aufgabe der Petersen Press sehe ich darin, daß sie als sogenannter „Pilot-Verlag“ auf gewisse Autoren aufmerksam macht; denn die großen Verlage betrachten die Tätigkeit kleiner mutiger Verlage, welche mit sehr großen Opfern verbunden ist, als Test. Wenn man mit einer Ausgabe Erfolg hat, dann „engagiert“ sich meist bald ein Groß-Verlag für einen Autoren und verschafft ihm eine vernünftige, bedeutende Ausgabe. Nachdem zum Beispiel Panizzas „Liebeskonzil“ bei mir vergriffen ist, bereitet Luchterhand einen Auswahlband Panizzas vor. Welche Auflage hatte das „Liebeskonzil“ von Panizza? 400 Stück. Sie wissen, daß der Band zunächst wegen angeblicher Obszönität beschlagnahmt worden ist. Natürlich ist ein solches Werk nicht für Bertelsmanns Lesering geeignet. Die 400 Exemplare landen aber sicher bei literarisch Interessierten und hätten wahrscheinlich keine Volksgefährdung heraufbeschworen. Leider sitzt im Kulturministerium von Schleswig-Holstein ein Beamter, der, was weiß ich, vielleicht befördert werden wollte in der Art „Herr Lehrer, ich weiß was!“; dieser Beamte hat Anzeige erstattet, die Staatsanwaltschaft ist dann zu einer Ermittlung verpflichtet, gleich drei Kriminalbeamte erschienen bei mir, als wäre die schlimmste Gefahr im Verzuge, einiges war leider nicht korrekt bei der Durchsuchung – erfreulicherweise hat die Presse ganz klar Stellung für mich bezogen. Es ist gut, daß man in Fällen wie Panizza heute auf verschiedene Redaktionen und Zeitungen bauen kann; ich bin sicher, ohne Einschreiten der Presse wäre das „Liebeskonzil“ nicht so schnell freigegeben, denn die Leute in Flensburg und Schleswig-Holstein, die darüber zu entscheiden hatten, waren nicht der Meinung, daß mein Verlag im ganzen ein lobenswertes Unternehmen sei, das der deutschen Kultur sehr förderlich wäre – wer ist schon Panizza? Ich meine gelesen zu haben, daß die Freigabe des „Liebeskonzils“ sehr lange auf sich warten ließ? Zu lange, ja. Es hat drei Monate gedauert. Es war eine deprimierende Zeit. Ich konnte nichts verkaufen und kam sowohl menschlich wie auch im wörtlichen Sinn in den Keller, weil ein Keller nun mal die billigste Wohnung ist. Natürlich stockten auch alle Vorbereitungen für neue Ausgaben. Als das „Liebeskonzil“ dann endlich frei war, konnte ich’s gottseidank schnell verkaufen und wieder weiterarbeiten. Nun ist doch wieder ein Buch beschlagnahmt worden, „Paroxysmus“ von Dieter Hülsmanns? Nun, ich glaube, daß die Freigabe diesmal nicht so lange dauert. „Paroxysmus“ ist mehr zufällig beschlagnahmt worden. Als damals die Freigabe des „Liebeskonzils“ immer und immer auf sich warten ließ, hatte sich bei mir ein etwas primanerhafter Rebellenstolz entwickelt und ich hatte einem jungen Autoren eine Ausgabe versprochen, der mir heute unwichtig ist; ich habe von dieser Ausgabe nur ganz wenige Exemplare verkauft und den ganzen Rest wieder einstampfen lassen – ich darf mir keine Kompromisse erlauben. Das Buch bekam eine Anzeige, die Polizei führte Haussuchung durch, man hat natürlich nichts mehr finden können, außer dem neu erschienenen Buch von Hülsmanns, das die Beamten für so entsetzlich hielten, daß sie’s gleich mitgenommen haben. Man kann ja auch wirklich von Polizeibeamten nicht verlangen, sie sollten literarisch geschult sein; sie haben ganz andere Aufgaben. Das Buch wird nun geprüft, aber ich bin sicher, diesmal wird die Freigabe nicht lange dauern. Ich habe auch keine Zeit und Lust, über solche Dinge oder über die Vergangenheit Groll zu hegen. Was haben Sie im Augenblick in Vorbereitung, Herr Petersen? Ich gebe Bryen heraus, einen Mann der Surrealistengruppe, der eine entscheidende Rolle in dieser Gruppe spielt als Maler und teilweise auch als Dichter, er hat in Paris einen Namen und ist auch der deutschen Kunstwelt etwas bekannt. Ein Buch von ihm mit Zeichnungen und Lautgedichten ist fast fertig, eine Seite muß noch gedruckt werden, auch der Einband fehlt – das kostet alles Geld, etwa 150 Mark brauche ich dafür, aber bei einem Verlagsaufbau hier in Flensburg, isoliert von jeder Großstadt, ist es vollkommen unmöglich, alle Vorhaben schlagkräftig durchzuziehen. Man braucht Geld für Porto, für Werbung, für die Druckereibetriebe, die den Hülsmanns gedruckt haben, und für die Bindereibetriebe, die den Hülsmanns gebunden haben, für Wohnungsmiete und einen minimalen Lebensunterhalt – es ist manchmal wirklich lächerlich, daß ganz geringe Summen, die aber entscheidend sind, um etwas fertigzustellen, dann nicht sofort vorhanden sind, – ich nehme an, daß mein Unternehmen noch zwei Jahre braucht, bis alles geordnet läuft, und ich sagen kann: ich bringe 5 bis 6 Bücher im Jahr, die dann auch wirklich kommen, ohne die ganzen Kleinigkeiten, die beim Verlagsaufbau immer wieder stören und viel Kraft verbrauchen und menschlich zerreiben. Wie hoch ist normalerweise die Auflage Ihrer Verlagswerke? Da ich heute noch ohne den großen Buchhandel arbeite und auf der anderen Seite sehr kompromißlos Bücher drucke, ohne Rücksicht auf Geschäft oder augenblickliche Popularität, sind meine Auflagen meist beschränkt auf 200 bis 700 Exemplare. Wahrscheinlich in 1000 Exemplaren werde ich dieses Jahr oder Anfang ‘64 ein Buch von Franz Jung herausbringen, „Der Fall Gross“, eine Erzählung, die noch vor Kafkas „Prozeß“ geschrieben worden ist, die den ganzen Expressionismus ganz präzise in allen Varianten enthält, – ich glaube, daß Jung doch noch so bekannt ist und daß auch dieses Buch heute so aktuell ist, um genügend Interesse für eine so „hohe“ Auflage zu finden. Ist dieses Buch in Deutschland bisher nicht bekannt gewesen? „Der Fall Gross“ ist in den Zwanziger Jahren in verschiedenen Verlagen erschienen, auch in Zeitschriften, soweit ich weiß, aber alles ist verschollen wie so vieles, was damals entstanden ist. Jung hat das Buch übrigens in Paris umgearbeitet, mit Zwischenschiebungen, Kürzungen, Ergänzungen usw., es ist natürlich unmöglich, heutzutage einen Expressionismus zu machen wie damals – Jung hat sein ursprüngliches Werk unterkühlt und ihm teilweise eine ganz andere Tendenz gegeben, – ich glaube, das Buch wird sicher großes Aufsehen machen. Wollen Sie außer Dieter Hülsmanns noch weitere junge Autoren herausbringen; oder wollen Sie sich im wesentlichen beschränken auf Autoren der Zwanziger Jahre, die heute wichtig sind? Nein, ich will selbstverständlich auch jüngere Autoren bringen, beispielsweise bereite ich jetzt die Werbung vor für ein Buch mit Lesetexten des sehr wichtigen Gerhard Rühm aus Wien. Daneben noch die Prospekte für ein neues Buch von Raoul Hausmann. Wenn die Werbung verschickt ist, muß ich auf Bestellungen warten, und wenn davon genug beisammen sind, kann ich in einen Druckereibetrieb gehn und sagen: hier, die Kosten sind gedeckt, haben Sie Interesse, drucken Sie ... Wieviel Bestellungen brauchen Sie, damit Sie anfangen können? Gute 300, bis alle Kosten gedeckt sind Und die lassen sich so schwierig in Deutschland zusammenbringen? Ja, uns fehlt erstens eine wirkliche Metropole, – in Paris können Sie ohne weiteres selbst von einem ganz aparten Buch in einem halben Jahr 500 Stück verkaufen, weil die Interessierten zusammensitzen und sich kennen; uns fehlen die Buchhandlungen, die ein intellektueller Mittelpunkt wären wie in den Zwanziger Jahren, als es noch keinen Rundfunk, kein Fernsehen gab, – der Buchhandel heute ist meist nur noch Verkaufsstation: man muß schon Glück haben, um selbst in einer Großstadt einen Buchhändler zu finden, der sich restlos für einen einsetzt. Vielleicht wird sich die Situation für die Petersen Press etwas ändern, wenn der Verlag einen Namen und Farbe gewonnen hat, so daß die Käufer von sich aus in die Buchhandlungen gehen und nach den Sachen fragen. Bis dahin muß ich mühselig jede Adresse sammeln, muß überall rumfahren und als Vertreter in eigener Sache tätig sein; das ist sehr aufreibend, auch etwas deprimierend, weil ich in der Zeit wichtigeres zu tun hätte, was dann wochenlang liegen bleibt. Was gibt Ihnen bei diesen verschiedensten Schwierigkeiten überhaupt den Mut, ein solches Unternehmen aufzuziehen, das doch bestimmt keine großen Reichtümer für Sie abwerfen wird? Reichtümer sicher nicht! Ich finde es eine schöne Sache, daß ich mit meinen bescheidenen Mitteln auf Leute, die für uns notwendig sind, aufmerksam machen kann, Leute, die vielleicht schon in wenigen Jahren stark diskutiert werden – ich denke zum Beispiel an den Wissenschaftler Wilhelm Reich, der vor wenigen Jahren in den USA im Gefängnis umgekommen ist. Er wird seit einiger Zeit in Fachkreisen in England und Amerika wieder stark, man darf schon sagen: gefeiert; – Reich war Schüler Freuds, ist aber wesentlich über die Lehren Freuds hinausgegangen, – Reich ist in Deutschland nur wenigen „Eingeweihten“ bekannt oder wird zum Teil auch totgeschwiegen, – ich glaube sicher, in wenigen Jahren hat sich das geändert. Ich will und kann kein wissenschaftliches Buch von Reich bringen, ich möchte ihn nur in Deutschland wieder „einführen“ mit seinem Buch „Hör zu, kleiner Mann“, das ist ein Pamphlet gegen Selbstgefälligkeit, ein Buch, das einen zur Selbstüberprüfung und Selbstkritik zwingt, geschrieben in einer Sprache, die einfach ist wie ein Gassenlied, ein Buch, das in der Zeit des Anfangs des Faschismus wichtig war, natürlich nichts erreicht hat, auch heute wahrscheinlich nichts erreichen wird, – und doch: mit jedem Buch, das herauskommt, wird irgend etwas neues existent, wird die Situation geändert – gefördert oder gehemmt. Wir können keine Revolutionäre sein wie die Expressionisten, wir haben auch nicht mehr die gleichen hochgespannten Hoffnungen wie sie, aber wir können doch versuchen, an wichtigen Dingen ehrlich und angestrengt zu arbeiten. In: Civis (Bonn) Nr. 11 / 1963, S. 24-25. Wieder abgedruckt in: Jes Petersens wundersame Reise. Herausgegeben von Andreas Hansen. Imperia/Italien 2005, S. 36-44. |
|||