Erasmus Jonas |
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Ein Mann namens Petersen |
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Anmerkungen zu einem jungen Verlag |
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aus: Pläne, Dortmund 1962 | |||
Einmannbetrieb“ nennt er selbst halb scherzend, halb resignierend sein Unternehmen. Er, das ist Peter Jes Petersen, 26, Drucker, Verleger, Galeriebesitzer in einer Person. Was nicht hindert, daß er deutsche Literatur, sogar gute deutsche Literatur verlegt: Namen wie Raoul Hausmann, Franz Jung, Oscar Panizza stehen dafür. Dieser Autodidakt Petersen bekennt, seit seinem vierzehnten Lebensjahr vom Surrealismus – einer Kunstrichtung, die in unseren Breiten aus Gründen der Politik und allgemeinen Mentalität nie richtig zum Zuge gekommen ist – fasziniert gewesen zu sein und für Bücher und Bilder regelmäßig seinen Lohn als Landarbeiter – der er auch einmal war – geopfert zu haben. Etwas von diesem Surrealismus ist auf ihn, seine Sprache übergegangen. Man könnte sie „dichterisch“ nennen, wenn das bei einem Menschen, der keine Gedichte schreibt, angängig erscheint. Aber sie hat – schriftlich oder mündlich – die Faszination, die höchst ungleiche Köpfe in einer ziemlich kopflosen Zeit zueinander finden läßt. Und wie anders entsteht denn ein Verlag? Es wird viel gejammert, die Zeit der großen Verleger sei vorbei, nur noch manipulierte Großapparate könnten die „Ware“ Buch heute durchsetzen. Bei aller Achtung vor dieser soziologisch in manchem abgesicherten These: wo kämen wir hin, wenn nicht neben den schwer beweglichen Mammutunternehmen auf dem Büchermarkt immer wieder die Partisanen der Literatur neue, unbetretene Wege suchten und den Instinkt in sich entwickelten, der die Schriftsteller davor bewahrt, nur noch auf Konfektion arbeiten zu müssen. (Gewisse Gruppenbildungen in der Literatur fördern ja noch diese Tendenz.) So zweifelhaft es erscheint, daß aus individuellen Protesthaltungen eine Änderung der kulturellen Gesamtsituation bewirkt werden kann, so sehr sind sie das Salz, ohne das die Suppe gänzlich ungenießbar wäre. Auch der „Einmannbetrieb“ Petersen-Presse schlägt, so gesehen, zu Buch. Es fing mit einem Band Raoul Hausmann, „Sprechspäne“ an (46 Seiten Großformat, 12,- DM). Schon hier zeigte sich Mut: wer kannte denn noch R. Hausmann, Mitbegründer der DADA-Bewegung in Berlin 1918, 1933 nach Frankreich emigriert, wo er heute in Limoges lebt, außer einigen professionellen Außenseitern? „Sprechspäne“ waren die erste Buchveröffentlichung des Autors in Deutschland nach 30 Jahren. Hierzu schreibt Petersen selbst, in einem Brief an Wolfgang Koeppen: „Ich sehe bei Hausmann eine gemeisterte Vielseitigkeit wie bei wenigen. Wenn sich ein Verleger findet, der seinen Roman ‚Hyle’, der 900 Seiten stark ist, publiziert, würde es für viele plausibler sein, warum ich mich für ihn einsetze“. Inhaltlich bieten „Sprechspäne“ sich dar als eine ausbalancierte Mischung von Worteinfall, verdichteter Assoziations-Montage, verquickt mit Erinnerungsfetzen, Reflexionen, Maximen, Lautgedicht und theoretischem Manifest. Da stehen Sätze wie: „Stiefelknecht ist der Vorname. Der Vater hat ihn so benannt … Sozial gesehen drückt er sich besonders schwer durch die Gesellschaftsschichten. Da ist Nichts zu überlegen: er ist nicht überlegen, er ist unterlegen. Das liegt auf der Hand: ist er doch Handlanger … Ja, das knechtlicht, das strechlicht, das stiefelt dahin, dorthin. Vererbt vom Vater auf den Sohn. Na, schön, wen kümmert das schon.“ Aber auch andere, gar nicht aggressive, die die Kindheit beschwören: „Gingen Worte durch die Kindheit hin, solche Worte, die keine Worte waren, niemals ausgesprochen waren, dennoch gingen sie durchhin … Saß man denn wirklich bei Lampenlicht um einen großen Tisch, wo es Vater und Mutter und Schwester gab, wo man alltäglich saß, aus der Schule zurückgekehrt, um zu essen, nachdenkend diesem Wort, diesem, gerade Wort, das es war, unausgesprochen.“ Oder solche, in denen eine nie ermüdende Konzentration auf den Kern der Sprache sich ausdrückt: „Der Begriff und das Wort ‚Wahrheit’ hat etwas Blindes, kein Mensch könnte derart übersachlich urteilen, daher müßte man stets Wahrheit durch ‚Aufrichtigkeit’ ersetzen, da diesem Begriffswort individuelle Fehlanschauungen oder Fehlurteile beigemengt sind … Es gibt eine Gerechtigkeit, die in den Worten beginnt.“ Von ihm kritisch gesonnener Seite wird Petersen vorgeworfen, sein verlegerischer Eifer gehe mit ihm zuweilen durch, – das, was sich sonst als Einfallsreichtum und Gespür auswirke, verwandle sich dann in Verwechslung von Wirklichkeit und Wunschdenken. Beleg für diese Auffassung ist manchen ein Eklat, der sich erst kürzlich mit der Beschlagnahme des in der Petersen-Presse in 400 Exemplaren neu aufgelegten „Liebeskonzils“ von Oscar Panizza durch die Staatsanwaltschaft Flensburg ereignete. Dies die Fakten: „Das Liebeskonzil“ Oscar Panizzas, über den Willy Haas in der „Welt“ in einem Protest gegen die Beschlagnahme schrieb, „er sei in seiner Art ebenso wichtig wie der junge Wedekind“, erschien 1894 und führte im darauffolgenden Jahr zur Verurteilung seines Autors zu einer einjährigen Gefängnisstrafe aufgrund des bayrischen Gotteslästerungsparagraphen. Nachdem Panizza die Strafe verbüßt hatte, ging er in die Schweiz; dort wegen Majestätsbeleidigung verfolgt – P. war einer der schärfsten Kritiker des Wilhelminismus (vgl. „Der Spiegel“ Nr. 10 vom 7. März 1962) –, siedelte nach Paris über. 1904 wurde er geisteskrank und verbrachte den Rest seines Lebens – bis 1921 – in Heilanstalten. Schon 1910 [!] hat George Grosz in einem apokalyptisch anmutenden Bild, betitelt „Leichenbegängnis des Dichters Oscar Panizza“, auf dem schreiende Massen, Priester mit erhobenem Kruzifix, aufgebrachte Kleinbürger dem Sarg des Dichters in makabrem Zug folgen, das Unheil vorausgeahnt, das das weitere Schicksal Oscar Panizzas, der in fast allen Literaturgeschichten verschwiegen wird, begleiten sollte. 1913 erschien eine neue Ausgabe des „Liebeskonzils“, illustriert von Alfred Kubin, die seltsamerweise nicht beschlagnahmt wurde. Aber eine von Tucholsky in den zwanziger Jahren vorbereitete Gesamtausgabe der recht umfangreichen Werke Panizzas scheiterte am Widerstand einer Erbin. Seitdem war es still um ihn, – bis im letzten Jahr der Pariser Verlag Pauvert eine französische Ausgabe des „Liebeskonzil“ veröffentlichte; die Vorrede und kritische Würdigung zu dieser Ausgabe schrieb der bekannte französische Surrealist André Breton. Nimmt es wunder, daß Peter Jes Petersen sich ermutigt fühlen durfte, auch in der Bundesrepublik einen neuen Anlauf zur Durchsetzung Panizzas zu wagen, noch dazu, wie Willy Haas in der „Welt“ schrieb, „in der tadellosen Form des Faksimiledrucks in beschränkter Auflage, der das Drama praktisch nur in die Hände von Bibliophilen und besonderen Kennern der Werke von Panizza kommen läßt“? Dieser Optimismus war ein Irrtum. Am 31. Juli 1962 erschienen im Verlag Petersen-Presse mehrere Kriminalbeamte, die, angeblich auf eine Anzeige eines Beamten des Kieler Kultusministeriums hin, eine Haussuchung und die Beschlagnahme der vorgefundenen Druckplatten des „Liebeskonzils“ vornahmen. „Es muß sich bei den vorgenannten Beamten um Experten der Literatur- und Kunstwissenschaft gehandelt haben“, schrieb in einem kritischen Beitrag die Kieler „Volkszeitung“, „denn ohne dies Fachwissen dürfte die Durchführung der ihnen übertragenen Aufgabe, zwischen Kunst und Pornographie unterscheiden zu sollen, kaum möglich sein. Der von der Zivilprozessordnung vorgeschriebene Gemeindebeamte als neutraler Zeuge (oder zwei Gemeindemitglieder) war von den Beamten nicht bemüht worden“. Dem Protest gegen dies Vorgehen schlossen sich mehrere größere Blätter, so der „Vorwärts“, „Die Welt“, die „Deutsche Zeitung“ und die Studentenzeitungen „Konkret“ und „Diskus“ an. Inzwischen verlautet, daß der Rowohlt-Verlag sich die Gesamtrechte an den Werken Panizzas gesichert habe … Vielleicht, daß vor diesem seriösen Hintergrund die Justiz ein Einsehen haben und die Beschlagnahme aufheben wird? Über diese Abschweifung in die praktische Kriminalistik sei abschließend nicht vergessen, welche mutigen Herausgaben den Leser in der Petersen-Presse noch erwarten (teils erschienen, teils im Erscheinen begriffen): von dem jungen Grafiker Ekkehard Thieme 7 Radierungen über Themen von Kafka und Melvilles „Moby Dick“ in einer Sammelmappe; die Hintergründigkeit der ins Unscharfe zielenden Strichführung, bei deutlichem Festhalten an der Realistik „angewandter Kunst“, machen diese Blätter zu einer Überraschung. – Von Franz Jung, dessen Memoirenband „Der Weg nach unten“ im letzten Jahr bei Luchterhand erschien und den keiner, der über Chancen und Versagen der deutschen Linken in den zwanziger Jahren nachdenkt, übergehen sollte, ist der 1920 in Hamburg erschienene expressionistische Kurzroman „Der Fall Gross“ angekündigt, versehen mit nachträglichen Anmerkungen des Verfassers. Aber statt weiterer Titel kann vielleicht die – gleichfalls von Franz Jung geschriebene – Flugschrift „Für den anspruchsvollen Leser; Eine Einführung in die Schriftenreihe der Petersen-Presse“ dienen. Man bestelle sie kostenlos bei der Petersen-Presse Glücksburg/Ostsee. Die letzten Sätze dieser Schrift lauten: „Seit die deutschen Kulturmissionen aus verständlichen Gründen im Ausland stark eingeschränkt worden sind, droht eine so bedeutende Schrift wie Wilhelm Ranfft, Leipzig 1728, „de masticatione mortuorum in tumulis“, zu deutsch: „Vom Schmatzen der Toten im Grabe“ in Vergessenheit zu geraten. Gerade in solchen Zeitläufen sollte man sich daran erinnern, wenn nach der ersten Feuerwalze im nächsten Krieg die Toten am Broadway und auf dem Kurfürstendamm und sonstwo aufplatzen werden, dem Komfort eines Einzelgrabes beraubt“. Aus: Pläne – eine junge Zeitschrift für Politik und Kultur (Dortmund) Nr. 11/1962, o. S. Wieder abgedruckt in: Gegner Nr. 18 (August 2006), S. 10-11. |
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